Sommer in Vorarlberg!
Einheimischen entlockt diese Überschrift auf dem Werbeplakat ein müdes Lächeln. Nur Touristen, die das erste Mal hier sind, glauben, dass Sommer in Vorarlberg irgendetwas mit Sonne und blauem Himmel zu tun hat. Sie fallen auch auf den provokanten Slogan: „Das Montafon. Der natürliche Feind des Stöckelschuhs.“ herein und vermuten bei uns ein Wanderparadies. Wir hingegen wissen, dass Gummistiefel gemeint sind.
Doch heuer ist alles anders.
Die erste Hitzewelle dörrt das Ländle bereits im Frühling aus. „Schade, dass der Sommer da war, bevor die Schwimmbäder geöffnet hatten“, denke ich und melde mich für die Flugwoche am Monte Cucco an, um noch einmal die Sonne zu sehen. Ich kann ja nicht ahnen, dass ich mich von Juli bis August an die kühlen italienischen Temperaturen zurücksehnen würde!
Eine Hitzewelle nach der anderen brütet über Vorarlberg. Ich hasse Werte über 26°. Allein schon beim Wort „Omegahoch“ bricht mir der Schweiß aus. Der allabendliche Wetterbericht spricht von Temperaturrekorden und Bludenz hat den vordersten Platz der Hitliste eine Woche lang gepachtet. Ich wohne in Bludenz und ich habe genau für diese Woche Urlaub genommen. Eine Tragödie bahnt sich an.
Hummelbau
Anstatt in die Berge zu flüchten, wühle ich mich dick vermummt durch alte Tellwolle. Markus sägt und schraubt und hört mein Gejammer nicht. Wir dämmen einen Teil unserer Fassade. Zig Schachteln mit Lärchenschindeln stehen bereit. Doch erst muss die bisherige Isolierung durch eine neue ersetzt werden. Zu allem Übel umkreist uns ein erbostes Hummelvolk und will sich der Delogierung widersetzen. Die pelzigen Brummer hatten ihre Kolonie direkt in die Tellwolle gebaut und wir haben die Fliegerkollegen obdachlos gemacht.
Die Hitze ist schier unerträglich, der Staub und die Mineralwolle jucken, die Hummeln brummen. Wenn ich mir kurz vor dem Kollaps eine Pause gönne, Wasser über den Kopf kippe und verzweifelt den gnadenlos blanken Himmel nach einem Wolkenschatten absuche, sehe ich Gleitschirme. Jedes Mal. Wie zum Hohn. In aberwitziger Höhe.
Am Abend eines extrem anstrengenden Arbeitstages, der noch dazu mein Geburtstag ist, werfe ich das verschwitzte Handtuch.
„Morgen geh ich fliegen“, sage ich zu Markus. „Das ist mein Geburtstagsgeschenk an mich.“
„Brauchst du mich dazu?“, fragt er und klingt gequält.
„Willst du denn nicht mitkommen?“
Wenn’s nicht sein müsse, würde er lieber auf der Baustelle weiter arbeiten, antwortet er und ich frage mich insgeheim, ob er mir damit ein schlechtes Gewissen machen will.
„Nein!“, wehrt er sich gegen die Unterstellung, „Flieg so lange und wohin du willst!“
„Sicher?“
„Sicher!“
Hitzeflucht - Silvretta
1
Am nächsten Tag rinnt mir der Schweiß wieder in Strömen. Bei der Bergstation der Golmerbahn hat es um 9:00 Uhr bereits 20°. Aber Schirmschleppen ist etwas anderes als Pakete von Mineralwolle zu wuchten. Außerdem ist die Anstrengung in zwanzig Minuten vorbei. Am Startplatz oben angekommen, verschwinde ich mit Wasserflasche und frischem T-Shirt hinter der Gratkante um mich zu erfrischen. Mir graut vor klebriger Haut. Selbst wenn es meine eigene ist.
Nach und nach trudeln weitere Piloten ein. Auf geröteten Gesichtern perlt der Schweiß, tropft von Nasen und Augenbrauen und ich bekomme ein Problem. Ich kann die einfachsten Regeln des Anstandes – nämlich die Begrüßung per Handschlag – nicht erwartungsgemäß erfüllen. Bildhaft sehe ich vor mir, wie sich allerlei Körperflüssigkeiten, vom Schweiß der Ankommenden bis zu den „Rückständen“ an den Händen derjenigen, die sich bereits ein Urinalkondom übergezogen haben, in der Menschenmenge verteilen.
Ich verkrieche mich ins Abseits, fummle geschäftig an meinem Gurtzeug und hoffe übersehen zu werden.
„He du“, ruft eine bekannte Stimme und zwei behaarte Beine bleiben bei mir stehen. „Schön, dich wieder einmal zu sehen!“ Es ist Thomas, der mich so nett begrüßt.
Berührungsangst
Ich kenne Thomas schon lange. Ihm wage ich mich anzuvertrauen. Seine mir entgegen gestreckte Hand tippe ich bloß mit einer Fingerkuppe an und gestehe gleichzeitig meine Berührungsphobie vor feuchten Händen. Oder vor Türklinken in öffentlichen Räumen. Oder vor noch körperwarmen Sitzplätzen im Zug. Ich könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen.
Thomas stutzt, lacht etwas verunsichert und ich muss ihm glaubhaft machen, dass dies ein allgemeiner Ekel ist und nichts mit ihm als Person zu tun hat. Ich möchte niemand vor den Kopf stoßen. Aber genau das schaffe ich fünf Minuten später.
Denn immer noch skeptisch wartet Thomas neben mir, sagt, er sei gespannt, ob ich mich anderen gegenüber auch so abweisend verhalten würde, oder ob es doch nur mit ihm zu tun hätte.
Es ist Stefan, der nun völlig in Schweiß gebadet auf mich zu kommt und mir seine triefende Hand reicht. Thomas grinst ob meiner Zwickmühle und sieht mich lauernd an.
Egal, wie ich mich verhalte, einer der beiden Herren wird beleidigt sein.
Ich entscheide mich zum Handschlag und als Thomas protestiert, gieße ich mir Wasser aus der Trinkflasche über meine Hände. Ein schlechter Kompromiss. Jetzt ist auch Stefan eingeschnappt.
Ich beeile mich in die Luft zu kommen.
Nichts wie weg
Die Flucht vor der Hitze lässt mir die Silvretta mit ihren Schneegipfeln wie eine Verheißung erscheinen. Die Flucht vor den Menschen zielt in dieselbe Richtung. Als alle Piloten, die sich im Himmel überm Golmerjoch tummeln, auf die Schweizer Seite des Rätikons wechseln, zweige ich nach Osten ab.
Über der Gaisspitze tanke ich ein letztes Mal Höhe, genieße die angenehme Kühle der Luft und die Einsamkeit. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen, keine Regeln befolgen, darf links oder rechts kreisen, ganz wie es mir beliebt. Ohne einen Zusammenstoß zu riskieren kann ich mich dem fantastischen Panorama hingeben. In der trockenen Atmosphäre reicht mein Blick vom flachen Hügelland nördlich des Bodensees bis zum Eisstock des Tödi, der am westlichen Horizont gleißt. Im Süden schimmert die Gletscherwelt der Bernina und im Osten, jenseits der Silvretta, ragen kühn die Tiroler Gipfel in den Himmel. Mit jedem Kreis wiederholt sich die Szenerie, dreht sich das Kaleidoskop der Naturschönheiten erneut und ist doch ein wenig anders, weil sich mein Blickwinkel mit zunehmender Höhe ändert.
Ich lasse mir Zeit und bleibe über der Gaisspitze, solange mein Vario piepst. Ohne eine Wolke oder einen anderen Piloten über mir, weiß ich nicht, wie hoch die Thermik reicht. Ich fliege ins sprichwörtlich Blaue hinein.
Mit Wehmut denke ich dabei an Markus, der am Bau schuftet und sich dieses Erlebnis aus Pflichtbewusstsein verwehrt hat. Seit neuestem bin ich nicht nur gedanklich mit ihm verbunden, sondern auch über Satelliten. Ich habe mir einen kleinen Sender angeschafft, den SPOT Gen3, der alle zehn Minuten meine Position ermittelt und ans Internet sendet, wo Markus meine Route über eine Handy - App in Echtzeit mitverfolgen kann. Sollte ich in Not geraten, könnte ich zudem mit diesem Gerät – unabhängig von GSM Empfang – SMS und Mails absetzen, um Hilfe zu alarmieren.
Ja, ich weiß, ich lasse mich freiwillig überwachen und der Vergleich mit senderbestückten Problembären oder Pottwalen ist mir egal. Nur eines sei gesagt, um keine falsche Hoffnung bei manchem Leser aufkommen zu lassen: Das Ding ist zu groß und zu auffällig um der Gattin heimlich unterzujubeln.
Silvretta ich komme!
Auf 3.100 m verebbt das Piepsen des Varios und ich setze zur Querung des Gauertales an. Mit durchgestreckten Beinen stehe ich im Speedsystem und bringe mich damit in eine windschlüpfrige Position. Rasch ziehen die Drei Türme an mir vorbei und mein Herz jubelt. Das Wegfliegen vom Startberg, der Aufbruch zu einem Streckenflug ist nach wie vor ein aufregender Moment für mich. Als ob jemand das Startsignal für ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang gegeben hätte. Ein bunter Mix aus Adrenalin und Endorphin durchflutet mich und ich muss mich zwingen, ganz ruhig in meiner Stellung zu verharren, um das Beste aus meinem Schirm herauszuholen. Jeder Freudentanz in der Luft ginge mit Höhenverlust einher und ich will keine vorzeitige Landung riskieren. Im Tal unten liegt die Hitze wie eine fette Schlange mit lähmendem Gift.
Noch bevor ich den Gipfel des Schwarzhorns erreicht habe, beendet schwache Thermik die Sinkphase. Der Berg sendet mir wohl einen Boten zur Begrüßung entgegen. Die aufsteigende Luft hebt mich alsdann auch wie in einer Sänfte über den felsigen Kamm hinweg direkt ins Zentrum des Aufwindbandes hinein. Während ich darin zu kreisen beginne, bemerke ich Schlieren über mir, die das Blau verschmieren und zunehmend dichter werden. Als das Vario schließlich bei 3155 m verstummt, krönt ein kleines Wölklein meinen Schirm. Es ist der erste weiße Tupfer am Himmel.
Ermutigt vom Gefühl zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, fliege ich weiter. Wenn das Timing passt und man sich im Einklang mit dem Rhythmus der Thermik bewegt, erscheint Streckenfliegen ganz natürlich und einfach. Gute Piloten besitzen einen Instinkt dafür. Bei mir ist es Zufall und den gilt es heute zu nutzen!
Mit vollem Speed lasse ich daher Sulzfluh und Weißplatte und die Schweizer Staatsgrenze rechts von mir liegen und steuere direkt auf die Sarotlaspitzen zu. Überm Grat angekommen steige ich aus dem Speedsystem, bereit für die Thermik, die mich hier erwartet. Ich bin derart siegessicher, dass ich ungläubig aufs Vario klopfe, weil es kein Steigen anzeigen will.
„He, aufwachen“, schimpfe ich die stumme Elektronik und blicke dann suchend in den Himmel.
Da! Wie bestellt beginnt es über mir zu kondensieren, feuchtes Gespinst ballt sich zur ersehnten Wolke. Nur wovon nährt sie sich, wo saugt ihr unsichtbarer Rüssel die warme Luft ab?
Ich bleibe über dem sonnenbeschienenen Grat und fliege weiter Richtung Gargellen. Meine Geduld wird nicht lange auf die Probe gestellt. Das Vario schlägt an und die vom Südwestwind versetzte Thermik bringt mich zur Wolkenbasis über dem Gipfel zurück. Ich bin wieder im Rennen!
Bleibt das Glück treu?
Kurz darauf quere ich das Gargellnertal, schenke dem Schmalzberg keine Beachtung, weil dessen Flanke noch seitlich zur Sonne steht, sondern strebe gleich direkt auf die Heimspitze zu. Dieser Berg trügt, denn man muss sich bis an sein südwestliches Ende vorkämpfen um Thermik zu finden. Doch heute ist die Heimspitze gnädig, das Steigen beginnt bereits an seinem Vorgipfel und endet bei 3.300 m überm Gipfelkreuz. Das ist mein Tag!
Jetzt liegt nur mehr das Garneratal zwischen mir und dem letzten Bergrücken vor der Silvretta. Der Schnee ist zum Greifen nah.
Mittlerweile hätte ich zwar gerne etwas von der Hitze im Tal unten in meinen Handschuhen gebunkert. Hier heroben beträgt die Lufttemperatur nur mehr 6° und ich friere – auch wenn ich das ungern zugebe.
Bevor ich das Garneratal quere, muss ich an Höhe gewinnen. Am besten geht das über den südöstlichen Wiesenhängen seiner Flanken, vermute ich. Seit Sonnenaufgang heizt sich der Boden dort auf und wird herrliche Thermik abgeben. Es ist für Streckenflieger nämlich wichtig, dass man während des Fluges ständig die Topographie und den Sonnenstand im Auge behält. Ich fühle mich wie ein Profi und hoffe, dass Markus meinen Flug mit seiner App verfolgt und beeindruckt ist.
Fünf Minuten später ist meine Gefühlslage ins Gegenteil umgeschlagen. Anstatt wie erhofft unter der Wolkenstraße in die Silvretta zu reiten, krieche ich im Wolkenschatten über den Grat und habe schon 600 Höhenmeter verloren. Zwar zeigt das Vario noch immer eine Höhe von 2.700 Metern an, aber die Berge sind ebenfalls hoch und mein Spielraum verkleinert sich dramatisch schnell.
Ich muss mich entscheiden zwischen: Talauswärts fliegen, dann schaffe ich es eventuell noch zu einem Landeplatz in Gaschurn. Oder taleinwärts Richtung Hinterberg mit der Möglichkeit auf Thermik, aber auch auf einen stundenlangen Fußmarsch, sollte meine Einschätzung wieder falsch sein.
Der Bauch entscheidet
Bild: Garneratal (Blickrichtung hinaus nach Gaschurn)
Intuitiv steuere ich den Hinterberg an. Mein Herzschlag beschleunigt sich, vor Nervosität sitze ich fast aufrecht im Gurtzeug. Das Vario piepst kurz, aber nach vier Kreisen sinke ich wieder. Der Grat kommt näher. Er ist breit, ich könnte direkt auf ihm landen. Ich sehe den Wanderweg und erinnere mich an meinen Zeltplatz neben dem winzigen See. Es ist schön dort unten, aber ich würde viel lieber etwas Abstand gewinnen!
Ich fliege auf felsiges Gelände zu, es ist die Rückseite des Vorderbergs, die letzte Erhebung vor dem Hinterberg (wie konnte man nur derart fantasielosen Bergnamen vergeben?).
Zu meiner Überraschung steht der Bart über der schattigen Seite des Berges und die Thermik ist gegen Süden zu versetzt, anstatt umgekehrt, wie ich es erwartet hätte. Egal, ich nehme was ich
bekommen kann und drehe ein. Mit jedem Kreis gewinne ich Vertrauen und werde schließlich übermütig. Als der Bart auf 3.200 Meter deutlich unter der Wolkenbasis verebbt, ist mir das einerlei.
Dabei hatte ich mir zwei Minuten zuvor selbst das Versprechen gegeben, auszuharren, bis ich Wolkenhöhe erreicht hätte. Nun fliege ich zielstrebig auf die Schweizer Grenze zu und meine
Wortbrüchigkeit wird dort sogar mit weiteren 150 Höhenmetern belohnt.
Bei diesem Anblick kann ich mich nicht mehr zurückhalten und posaune meine Freude und Erleichterung mit lautem „Juhuu“ in die eisige Luft hinaus.
nächstes Bild: Vergaldental (Blickrichtung zurück nach Gargellen)
Noch niemals zuvor bin ich im hintersten Garneratal geflogen. Die wilde Bergwelt unter mir kannte ich bloß vom Boden aus. Selbst da sah ich stets nur die österreichische Seite. Jetzt offenbaren sich mir hinter schroffen Felszacken und bizarren Türmen Einblicke in einsame Hochtäler, in denen Seenblau die Schneedecke durchbricht. Trotz der beißenden Kälte fingere ich die Kamera heraus und fotografiere, während ich mit der linken Hand beide Steuerleinen halte und bemüht bin, kontrollierte Kreise zu fliegen.
Es ist für mich notwendig, diese Eindrücke in später abrufbaren Bildern zu konservieren, weil ich das Gefühl habe, im Moment nicht alles erfassen zu können. Die Details absorbieren mich; hier die weißen Schollen im Türkis des Gletschersees, dort das grünliche Schimmern im blanken Eis. Gipfel wie versteinerte Palisaden, Wächter neben Wächter, darunter hingeduckt eine Berghütte. Weite Schneefelder spannen sich auf, umschließen ein ganzes Massiv, beeindruckender als das bisschen Weiß rund um den Piz Buin, den höchsten Berg Vorarlbergs.
Ohne die Landesgrenze, die ihn zu dieser Sonderstellung verhilft, ist er nämlich nur ein mittelmäßiger Gipfel unter vielen und kaum zu erkennen. Ich drehe mich weiter, die Stauseen der Silvretta rücken ins Bild. Unwirkliche Farben, die dem übermächtigen Blau des Himmels mit Eigensinn trotzen. Ich drücke pausenlos auf den Auslöser. Speichere auch die langen, vom Gletscherschliff geprägten Trogtäler in Pixel ab. Das Garneratal läuft von Gaschurn aus auf mich zu, das Vergaldental von Gargellen aus. Beide sind voll mit sattem Grün, das erst im Geröll an den Flanken des Hinterbergs versickert.
Der Hinterberg selbst ist ein unansehnlicher Schotterhaufen. Graubraun und öde. Mich interessiert nur die Landschaft auf seiner Schweizer Seite. In einer Mulde unterm Gipfel, von wo die Almwiesen sanft ins Tal von Klosters abfallen, befindet sich ein kleiner See. An seinem Ufer wollte ich am Wochenende mein Zelt aufschlagen. Doch Schneefelder lecken von beiden Seiten mit eisigen Zungen weit ins Wasser hinein. Ich werde mein Vorhaben um Wochen verschieben müssen. Zufrieden mit meiner Auskundschaftung aus der Luft, packe ich die Kamera wieder ein und mache mich auf den Weg in die Silvretta.
Ich fliege über die Reste des Kromertaler Gletschers und habe einen fantastischen Blick auf die Gipfel von Großlitzner und Seehorn. Erneut muss ich die Kamera zücken und festhalten wie das Eis unter einem dicken Schneewust hervorbricht, ein paar Spalten aufwirft und sich dann wieder unter die weiße Decke zurückzieht. Ein schaurig schöner Anblick, den es wohl nicht mehr lange geben wird. Die dünne Schneeschicht schützt den Gletscher nur mehr im Frühjahr, den Rest vom Jahr ist das blanke Eis der Sonne preisgegeben. Trübe Schmelzwasserströme zeugen vom unaufhaltsamen Rückgang der einstigen Landschaftsformer.
Wanderer haben auf dem Weg von der Saarbrückner zur Tübinger Hütte eine graue Spur in die Schneefelder getreten. Ich entdecke ihre länglichen Schatten kurz vor dem Passübergang und juble ihnen zu.
Ob sie mich sehen können?
Ich möchte meine Freude über diesen Flug am liebsten mit allen teilen.
Vorne im Bild: Schweizer Gletscher mit Minisee, hinten der Schottensee voller Eisschollen
Aber niemand außer mir ist in der Luft. Ich fliege an Litzner und Seehorn vorbei und parke mich über dem letzten Bergrücken am Südende des Silvrettastausees ein. Da ich erst vor 70 Minuten mit dem Streckenflug begonnen habe, bin ich unschlüssig, was ich nun machen soll. Nie hatte ich damit gerechnet, so rasch mein Ziel, die Silvretta, zu erreichen. Ich kann mich dank mäßiger Thermik auf einer Höhe zwischen 3000 m und 3200 m halten und hole die Kamera wieder hervor.
Endlich entdecke ich einen Gleitschirm. Wahrscheinlich ist es einer der Piloten, die vom Golm aus zuerst zum Falknis fliegen und danach die Silvretta auf dem Weg zu neuen Rekorden queren. Zielstrebig kommt er vom Hochmaderer zu mir her geflogen. Ich drehe meine Kreise in schwacher Thermik und warte voller Freude auf die Begegnung. Aber der rote Gleitschirm zieht, das geringe Steigen missachtend, einfach unter mir durch, quert das nächste Tal und peilt die nordseitige Flanke des gegenüberliegenden Berges an. Nordseitig! Ich wundere mich. Das käme mir nie in den Sinn.
Noch mehr wundere ich mich, als ich beobachten muss, wie rasant der rote Schirm dort an Höhe gewinnt. Wie in einer Steilspirale steigt er himmelwärts und fliegt dann, denn Piz Buin links liegen lassend, Richtung Engadin.
Ich bin wieder allein. Und immer noch über demselben Grat. Soll ich auch?
„Man fliegt doch keine Schattenseite an!“, sagt eine hochmütige Stimme in mir.
„Aber wenn es offensichtlich funktioniert“, wendet die Stimme des Neides ein.
Halbherzig löse ich mich von meinem Grat und quere ebenfalls das Tal. Halbherzig fliegen ist das Dümmste, was man tun kann. Das weiß ich zwar, aber irgendwie ist meine Entschlossenheit seit Erreichen der Silvretta verpufft.
Ich komme in sinkende Luftmassen, doch anstatt sie beherzt zu durchqueren, zögere ich. Das macht das Sinken schlimmer und weil ich mich weder entschließen kann geradeaus weiterzufliegen, noch komplett umzukehren, verweile ich mitten überm Tal. Wider Erwarten beginnt das Vario plötzlich zu piepsen. Ich mache einen Testkreis, steige, aber die Luft fühlt sich seltsam an. Sie brodelt, ist turbulent, zerrt an meinem Schirm und schiebt mich komisch hin und her. Das hat gefühlsmäßig nichts mit Thermik zu tun, eher mit aufeinanderprallenden Luftmassen. Bin ich mitten überm Tal in eine Konvergenz geraten? Kann es sein, dass hier ein Abwind aus der Gletscherregion auf den Talwind trifft?
Sachen, die ich mir nicht erklären kann, machen mir Angst. Ich flüchte zurück zum Berghang. Dabei fliege ich mit Rückenwind, als befördere mich der Piz Buin mit einem kräftigen Tritt aus seinem Reich hinaus. Zu allem Übel trägt der von mir angepeilte Berghang nicht, im Gegenteil, Sinkalarm ertönt.
Ich versuche mich über die Bielerspitze ins Montafon zu retten. Doch auch dieser Plan schlägt fehl. Der Grat scheint vor mir in die Höhe zu wachsen, ich fliege wie gegen eine unsichtbare Wand. Kurz darauf bekomme ich die Leeturbulenzen des Talwindes zu spüren. Zwar piepst das Vario wieder, aber die Ansätze der Thermik sind dermaßen zerrissen, dass ich gerne darauf verzichte und stattdessen eine Landung auf der Passhöhe vorziehe.
Doch je tiefer ich sinke, desto bockiger wird die Luft. Ich beobachte die Fahnen, die auf der Bielerhöhe im Wind stehen. Sie zeigen in eine andere Richtung als der kleine Windsack auf der Liftstation, neben der ich landen wollte. Das sieht gefährlich aus.
Auf der Tiroler Seite ist die Lage nicht besser.
Die Seeoberfläche kräuselt sich, es strömt tatsächlich kalte Gletscherluft von hinten über den Stausee und schwappt ins Paznauntal hinab, während sich von vorne – also vom Montafon her - der normale Talwind an der hohen Staumauer bricht, Turbulenzen ausbildet und sich danach ebenfalls ins Paznauntal ergießt.
In diesem Abwindkanal möchte ich nicht landen. Allerdings wird mir die Zeit langsam knapp.
Es bleibt nur eine Option. Ich quere den Stausee und fliege zur Nordflanke des Hohen Rades. Dort am Hang erwarte ich mir laminaren Wind. Wenn es sein muss, denke ich, kann ich hundert Meter überm Seespiegel einlanden und zu Fuß zur Staumauer hinabsteigen.
Doch das ist nicht nötig. Die Luft ist ruhig und lässt mir Zeit die Lage zu sondieren. In großen Achterschleifen fliege ich am Hang hin und her und beschließe dann, auf einer kleinen Hügelkuppe, die ein wenig überm Niveau der Staumauer und somit nicht im Lee derselben liegt, zu landen.
Dass sich ausgerechnet dort eine Gruppe Wanderer zum Picknick niedergelassen hat, ist nicht mein Problem. Entsetzt stieben sie auseinander, als ich auf sie zu schwebe, quasi aus heiterem Himmel auftauche.
Als ich festen Boden unter den Füßen spüre und den Blick zu den hübschen Cumuli hebe, kann ich es gar nicht fassen noch vor 13 Minuten auf über 3000 m dort oben gewesen zu sein. Erleichterung und Frust halten sich die Waage.
Ich rufe Markus an, raffe meinen Schirm zusammen und eile zum Parkplatz der Bielerhöhe, wo das Postauto soeben abfährt. Zum Glück öffnet der Fahrer nochmals die Türe. In Schruns wartet bereits der Anschlussbus nach Latschau, von dort gondle ich mit der Bahn nach Vandans hinab und bin mit dem Moped eine Viertelstunde später daheim.
Markus ist überrascht, als er mich sieht. „Bist du geflogen?“, fragt er ungläubig, ohne die Wortwahl zu bedenken.
„Nein, dann wäre ich noch nicht da“, antworte ich.
Eckdaten zum Flug 1:
Flug am 2.7.2015 mit einem Ion 2 light
Dauer: 2 h 20 min
Geflogene Strecke (berechnet nach OLC als freie Strecke): 35 km
Start am Golm um 10:50 Uhr, Landung auf der Bielerhöhe)
Größte Höhe: 3350 m
Hitzeflucht - Silvretta
2
Am Sonntag ruht die Baustelle. Auch Markus. Mir lässt das Wetter keine Ruhe. Die anhaltende Hitze im Tal ruft die Erinnerung an die angenehme Temperatur auf der Bielerhöhe hervor. Außerdem ist die Wolkenbasis seit meinem Flug am Donnerstag täglich ein bisschen gestiegen und kratzt nun fast an der 4000 Meter Marke.
Träume geistern durch meinen Kopf, von Flügen über die Landes- oder sogar Staatsgrenzen hinaus. Die Nachricht, dass Thomas unlängst vom Golm nach Landeck geflogen ist, hat mich neidisch gemacht. Thomas! Nein, nicht der Thomas, von dem es jeder erwarten würde, sondern der andere, der ÖBBler. Dabei hat er um Kilometer zu scheffeln, zuerst noch den Umweg über den Falknis genommen. Mir würde schon die direkte Route reichen.
Hochfliegende Träume
Aufgeregt sitze ich in der Bahn. Sonntags ist die Hölle los. Sechs Wanderer mustern böse meinen Gleitschirmrucksack und sagen, normalerweise passten acht Personen in eine Gondel. „Können Sie denn nicht hinauffliegen? Immer nur den Berg runter ist doch langweilig!“
Da sie offenbar keine Piloten sind, erkläre ich, dass man mit dem Ding sehr wohl hoch – vor allem aber auch weit fliegen kann. „Ich“, sage ich und bemühe mich glaubhaft zu wirken, „ich möchte beispielsweise nach Landeck fliegen.“
Sie sind beeindruckt. Ich auch.
Am Startplatz oben bin ich wieder ganz bescheiden. Dort kennt man mich schließlich. Ich frage Armin um Rat, weil ich wissen will, wie man am besten auf die Ostseite des Paznauntals wechselt. Ob man von der Vallüla zum Hennakopf fliegen soll, oder von der Ballunspitze zur Fädnerspitze und von dort weiter zum Predigtberg.
Armin sieht mich verständnislos an. Gipfelnamen kennt er nicht.
„Warte“, sagt er, „ich habe eine Karte im Gurtzeug.“
Er kommt mit einem A5 kleinen Papier zurück, auf dem das Gebiet vom Walensee bis Innsbruck abgebildet ist. „Zeig mir dein Problem“, fordert er mich auf.
Ich finde nicht einmal die Silvretta, geschweige denn einzelne Berge.
Wir können uns nur über die großen Täler orientieren, allerdings ist weder Galtür noch Partenen eingezeichnet. Armin plant und fliegt in größeren Maßstäben.
„Vergiss es“, sage ich, aber Armin liefert mir eine topographische Beschreibung aus seinem Gedächtnis. Zwar ohne Bergnamen, aber da er Kops- und Zeinissee nennt und den anschließenden Gipfel mit Sender, weiß ich, dass er die Fädnerspitze meint. Er erklärt mir genau, wo der Bart üblicherweise steht und welche Route ich danach einschlagen soll. Als er seine Tipps auf den Rückflug über den Arlberg ausweiten will, winke ich ab.
„Armin!“, rufe ich ihn zur Besinnung, „ich bin bis jetzt nicht einmal über die Bielerhöhe hinausgekommen!“
„Du musst dir Ziele setzen“, ermahnt er mich, „richtige Ziele!“
Auf die Zielsetzung kommt es an
Ich starte mit dem Ziel an die Basis aufzudrehen. Armin meinte es glaub’ ich anders. Aus mir wird wohl nie eine „richtige“ Pilotin werden. Hummel bleibt Hummel, wenn auch mit größerer Reichweite.
Als mein „Ziel“ nach 20 Minuten erreicht ist, verlasse ich das Golmerjoch mit der fantastischen Höhe von 3.850 Metern. Dieses Mal halte ich mich gar nicht beim Schwarzhorn auf, zumal dort nur ein Halbmeterbärtchen herumzupft, sondern bleibe im Speedsystem, bis ich über dem Grat bin, der in seiner Verlängerung im Reutehorn gipfelt. Heute habe ich es eilig, denn heute habe ich ein weiteres Ziel, ein großes Ziel, ein Armin-gerechtes Ziel!
Wie erwartet beginnt das Vario zu piepsen. Aber es ist nur ein kläglicher Hinweis, eher ein Fiepen denn ein Piepsen, mit dem es mir 20 cm Steigen pro Sekunde anzeigt. Gerne würde ich mir den vorhin verschmähten Halbmeterbart herzaubern.
Ziel 1 (überm Startplatz aufdrehen) ist erreicht
Ziel 2 (Silvretta) noch im Dunst der Ferne
Die Begegnung
Während ich auf der Suche nach besserer Thermik kreuz und quer durch die Luft stochere, schaue ich zu Boden, um Vegetation, Sonneneinstrahlung und Abrisskanten einschätzen zu können. Deshalb entgeht es meiner Aufmerksamkeit, dass ich nicht mehr alleine bin. Erst als ich zufällig einmal aufblicke, sehe ich den Vogel direkt neben mir, fast in Reichweite. Der Schreck fährt mir derart in die Glieder, dass ich unwillkürlich einen Schrei ausstoße. Der Vogel dreht ab, lässt sich hinter meinen Rücken zurückfallen.
„Wo? Wo ist er jetzt?“, frage ich mich panisch und verrenke mir den Kopf um nach hinten zu sehen.
Das Bild des scharfen gelben Schnabels und der mächtigen Krallen geht mir nicht aus dem Sinn. Ein Adler! Warum so nah? Bin ich in seinem Revier? Aber in 3000 Metern Höhe kann ich ihm doch egal sein! Youtube-Videos von Greifvogelattacken laufen in meinem Gedächtnis ab. Ich kann sie weder ausblenden noch stoppen. Sie sind meiner Gefühlslage nicht gerade dienlich.
Nachdem ich den Adler eine Zeitlang aus den Augen verloren habe, wähne ich mich in Sicherheit. Wahrscheinlich lag es mehr an meiner Überraschung als an der Gefährlichkeit des Vogels, dass ich mich so bedroht gefühlt hatte. Während ich mich mit solchen Überlegungen beruhige, stürzt direkt vor der Eintrittskante des Gleitschirms ein dunkelbraunes, gefiedertes Dreieck herab. Wie ein Torpedo schießt der Vogel knapp an mir vorbei, öffnet ein paar Meter tiefer die Flügel und leitet einen engen Kreis ein. Nach zwei Umdrehungen ist er wieder mit mir auf gleicher Höhe. Während er seitlich neben mir her fliegt, starrt er mich unentwegt an.
Ich kann sein Verhalten nicht deuten. „Vogel, was willst du?“, brülle ich ihn an.
Mein Geschrei beeindruckt den Adler nicht. Er kommt sogar noch näher. Entgegen all der Horrorgeschichten von Vogelangriffen auf Gleitschirm- oder Drachensegel, die in Fliegerkreisen kursieren, kann dieses Tier sehr wohl zwischen dem Lebewesen (also mir) und dem seelenlosen Material unterscheiden. Und dieser Adler hat es eindeutig auf mich abgesehen!
Mit einer kaum merklichen Flügelbewegung beschleunigt der Vogel und quert meine Flugbahn. Sofort leite ich eine Kurve in die andere Richtung ein. Dass ein Fluchtversuch völlig sinnlos ist, begreife ich erst, als der Adler beginnt, mich wie eine Boje zu umkreisen. Spielt er bloß mit mir, oder passt er den besten Zeitpunkt für einen Angriff ab?
„Vogel, was tust du da?“, rufe ich ihm zu. Nicht weil ich eine Antwort erwarte, sondern in der Hoffnung, ihn durch meine Stimme auf Distanz halten zu können.
Als das nichts nützt, reiße ich einen Tragegurt herunter und produziere einen Seitenklapper. Vom Rascheln erschreckt, taucht der Adler kurz ab und steigt dann hinter mir wieder hoch. Das mag ich gar nicht. Ich fürchte jeden Moment, seine Krallen im Genick zu spüren. Froh bin ich über den Helm und meine dicke Kleidung. Aber lange könnte die textile Schutzschicht den Krallen wohl nicht Widerstand leisten.
Noch einmal kommt der Adler an meine Seite. Irgendetwas scheint jetzt anders zu sein. Eigenartig. Wir sehen uns an. Anstelle von Bedrohung empfinde ich zu meiner Überraschung so etwas wie Verbundenheit. Bevor ich mir darüber im Klaren bin, dreht der Vogel ab und fliegt davon.
Monika.
Der Name einer kürzlich am Golm verunglückten Kollegin fällt mir ein.
Doch ich wische den Gedanken beiseite. Ich glaube nicht an Seelenwanderungen solcher Art.
Seltsamerweise verspüre ich jetzt, da der Vogel weg ist, keine Erleichterung, sondern Wehmut, wie nach einer verpassten Chance.
„Vogel komm zurück!“, rufe ich in den Himmel und weiß gleichzeitig, wie lächerlich das ist. Wahrscheinlich war der Adler bloß neugierig gewesen. Ich hätte das Erlebnis genießen und Fotos machen können, aber meine sinnlose Panik hat ihn vertrieben.
„Dumme Kuh“, schimpfe ich mich selbst.
Die Begegnung mit dem Vogel hat insgesamt rund zehn Minuten gedauert. Zehn Minuten, in denen ich nie geschaut habe, wohin ich eigentlich flog. Jetzt befinde ich mich mitten überm Platinatal und da das Vario fast ständig gepiepst hatte, sogar 200 Meter höher.
Ich drehe vor dem Reutehorn nochmals bis zur Basis auf und hoffe auf ein Wiedersehen mit dem König der Lüfte. Vergeblich. Dann verlasse ich sein Revier und quere das Gargellnertal.
Neue Routenwahl
Anders als beim letzten Silvrettaflug bleibe ich nach der Heimspitze nahe am Haupttal des Montafons und hole mir die notwendige Höhe an der Tschambreuspitze und beim Hochmaderer, bevor ich über den Vermuntsee fliege und die Silvretta links der Bielerhöhe erreiche. Ohne Umweg, zielgerichtet (Armins Worte beachtend), halte ich mich auch nicht lange bei der Bielerspitze auf, sondern quere beherzt das obere Paznauntal.
Von Sinkalarm begleitet falle ich regelrecht auf die Flanken der Hennaköpfe hinab.
Halt! So war das nicht geplant.
Hätte ich vielleicht doch einmal etwas abwarten und nachdenken sollen?
Zur Umkehr ist es zu spät.
Alte Fehler
„Vielleicht kann ich auf der anderen Talseite ein bisschen Thermik finden“, tröste ich mich, obwohl ich weiß, dass ich eine fatale Fehlentscheidung getroffen habe.
Überall gibt es nur Abwinde, es sieht ganz danach aus, als wäre ich in wenigen Minuten zur Landung gezwungen. Bei den herrschenden Verhältnissen könnte ich jedoch nicht einmal mehr meinen Landeplatz vom Donnerstag erreichen. „Verdammte Sch….!“
Ich weiche in Richtung Bieltal aus.
An der Geländekante finde ich schwache Thermik, die vom Wind zerrissen ist und mich nach 250 Höhenmetern schon wieder im Stich lässt. Dabei hatte das bisschen Steigen bereits die Hoffnung geboren, ich könnte eventuell den Gipfel der Hennaköpfe erreichen und mich von dort weiterkämpfen. Sogar der Traum von Landeck flammte kurz auf.
Stattdessen gleite ich jetzt unterhalb des Gipfels vorbei in Richtung Galtür und überlege mir Alternativen. Wenn der Abwind, der mich vorhin so vom Himmel geschwemmt hatte, weiterhin weht, dann müsste er auf dieser Talseite eigentlich zum Aufsteigen gezwungen sein und ich könnte mit seiner Unterstützung aufsoaren. Meine Theorie stimmt leider nur stellenweise, insgesamt verliere ich mehr Höhe, als ich gewinnen kann.
Dennoch genieße ich diesen Abschnitt. Mit geringem Bodenabstand schwebe ich über tosende Wildbäche, blicke auf steinumsäumte Almweiden und scheuche Hirsche in den Wald hinab. Letzteres tut mir Leid, aber es war zu spät als ich erkannte, dass diese seltsamen Krüppelbäume über der Waldgrenze lebende Tiere sind, denen ich einen heillosen Schrecken einjage würde.
Die Landung in Galtür ist unspektakulär. Kein Lüftlein regt sich. Ehe ich mir Daunenjacke und Überhose vom Leib gerissen habe, hat mich schon die Hitze überflutet. Die ausgedorrte Wiese glüht wie eine Herdplatte unter mir und das Wasser, das ich durstig in mich hineinschütte, sickert postwendend aus allen Poren wieder aus mir heraus.
Neidisch blicke ich den vielen bunten Gleitschirmen nach, die plötzlich die Bergkämme bevölkern. „Ja Armin, das nächste Mal werde ich es mit der Fädnerspitze versuchen, so wie du es vorgeschlagen hast“, schwöre ich mir.
Dann hieve ich den Gleitschirm über den Zaun und stehe auf der Landstraße, nicht wissend, in welcher Richtung sich die nächste Bushaltestelle befindet. Zwei Minuten später rollt ein Postauto heran. Ich hebe den Daumen und zu meiner Verwunderung hält der Bus auf offener Strecke. Tiroler Fahrer sind bärig.
Auf der Bielerhöhe habe ich vierzig Minuten Aufenthalt bis zum Anschlussbus. Zeit genug für ein kühles Bier im Silvrettahaus, das sich letztes Mal nicht ausgegangen ist. Im ersten Moment sieht es so aus, als hätte ich Pech, da alle Tische besetzt sind. Ich steuere einen alleine sitzenden Mann an um ihn um einen Platz zu fragen. Welch Überraschung! Es ist Macky von der fca-Flugschule und das Postauto fährt ohne mich ab.
Eckdaten zum Flug 2:
Flug am 5.7.2015 mit einem Ion 2 light
Dauer: 2 h 25 min
Geflogene Strecke (berechnet nach OLC als freie Strecke): 38 km
Start am Golm um 10:40 Uhr, Landung in Galtür
Größte Höhe: 3850 m
Hitzeflucht - Silvretta
3
Zwölf Tage später.
Noch immer brütet eine Hitzewelle überm Land, noch immer herrscht bei mir zuhause Baustellenchaos. Noch immer will ich nach Landeck fliegen.
Die Reihen der Piloten am Startplatz Golm lichten sich. Das anhaltend gute Flugwetter führt zur Erschöpfung der Motivation. Viele haben Urlaub und keine Baustelle daheim und können jeden Tag fliegen. Auch das nervt. Es gehen ihnen die Ziele aus.
Ich fackle nicht lange herum, starte pünktlich um halb elf und bin 10 Minuten später auf 3.300 Metern Höhe und bereit zur Querung des Gauertals.
„So muss Strecke!“, sage ich laut in Anlehnung an eine nervtötende Werbung und komme mir profimäßig vor.
Die Abflughöhe ist rasch erreicht
Die Stationen Schwarzhorn, Sarotlaspitzen, Schmalzberg und Heimspitze sind Teil meiner „Rennstrecke“ geworden. Nur beim Garneratal zögere ich etwas. Soll ich direkt weiter in die Silvretta hetzen, oder doch lieber einen Abstecher zum Hinterberg wagen?
Ein Blick aufs Vario erleichtert mir die Entscheidung: Ich bin noch keine Stunde in der Luft und derzeit auf 3.700 Metern Höhe. Der Umweg böte mir zudem Gelegenheit, eine kleine Schmach zu tilgen.
Letztes Mal schilderte ich nämlich Markus, wie ich über dem Gipfel des Hinterbergs und von dort entlang der Staatsgrenze zu Litzner und Seehorn geflogen sei. Peinlich wurde es dann, als ich das kml-File in google earth hochlud. Von wegen Staatsgrenze! Die Lotlinien, die meine Flugroute auf die Geländeoberfläche übertrugen, lagen hunderte Meter weit vom Grat entfernt auf der österreichischen Seite. Ich hatte nicht bewusst gelogen, sondern war meiner eigenen Wunschvorstellung erlegen, dennoch drohte mir der Schädel vor Schamesröte zu platzen.
Das will ich jetzt ausmerzen.
Auf zum Hinterberg! Koste, es was es wolle!
Der Südwind erschwert mein Vorhaben, die Thermik versetzt mich immer wieder auf die österreichische Seite zurück. Ich muss mich ein Stück weit Richtung Rotbühlspitze vorkämpfen, um sicher zu gehen, diesmal wirklich überm Gipfel des Hinterbergs gewesen zu sein.
Das Seelein auf der Schweizer Seite ist nun vollständig eisfrei. Die Hitze der vergangenen zwei Wochen hat die Schneedecke radikal weggefressen. Bis auf ein paar fleckige Reste mit Löchern wie nach einer Mottenattacke ist vom Winter nichts mehr übrig. Gerne würde ich die Landschaft im grünen Sommerkleid fotografieren, aber heute ist es viel zu bockig. Ich wage nicht, die Steuerleinen loszulassen um mit der Kamera zu hantieren.
Jetzt, da ich viel näher an der Schweizer Grenze fliege, kann ich alle Seen jenseits der schroffen Grate erspähen. Aus luftiger Höhe erkunde ich meine nächste Wandertour: Chessisee, Schaftälersee, Hühnersee und zum Abschluss der Schottensee, gefüllt mit Gletschermilch und pastellfarben schimmernd wie ein heller Türkis. Das Schmelzwasser strömt in breiten Bächen vom Eispanzer des Großen Seehorns herab. Der einst mächtige Gletscher hält der Sonne seine glasige Oberfläche wie ein blankes Schild entgegen. Es ist grau und von dunklen Schnitten gezeichnet, eine Erinnerung an die verlorene Schlacht. Das Eis ist auf dem Rückzug und in paar Jahrzehnten wird wohl nichts mehr von ihm übrig sein.
Ich bin so vernarrt in die beeindruckende Szenerie unter mir, dass ich sowohl mein Flugziel, als auch das Vario vergessen habe. Mir ist egal, dass es schon lange nicht mehr gepiepst hat und dass ich wahrscheinlich die beste Thermik verfehle, denn ich sehe bloß mehr das Gipfelpaar von Litzner & Seehorn vor mir. Das Seehorn will ich jetzt überfliegen und direkt auf seine Kreuzspitze hinabblicken, ohne Selbsttäuschung, die mir das GPS dann hinterher beweist.
Sinkalarm ertönt, ich bin versucht abzudrehen, aber nichtsdestotrotz halte ich entschlossen auf den schmalen Felsgrat zu. „Das ist sinnloser Unfug“, warnt eine Stimme in mir. „Das wirst du bald bitter bereuen!“
Zur Untermalung der drohenden Botschaft sendet das Vario Daueralarm, die Höhenmeter purzeln, ich verliere über fünf Meter in der Sekunde. Trotzdem empfinde ich eine kindische Freude über mein Vorhaben. Durch den raschen Höhenverlust komme ich dem Berg allerdings sehr nahe und Zweifel, ob sich ein Überflug ausgehen wird, tauchen auf. Da setzt ruppige Thermik ein, dämpft zuerst den Abstieg und hebt mich schließlich über den Grat hinweg. Mit Schaudern betrachte ich die scharfkantigen Felsplatten, aus denen der schlanke Gipfel besteht und auf dem das Kreuz kaum Platz findet.
Was für ein Anblick!
Der Gletscher, der beim letzten Flug nur aus einem kleinen Schneefenster hervorblitzte, ist heute völlig blank. Das Eis klebt in der Felswand, als hätte man es mit Wucht gegen den Berg geschleudert. Die graue Masse ist dort picken geblieben, mit aufgeplatzter Oberfläche und klaffenden Spalten. Dennoch lässt sich das allmähliche Hinabkriechen an den gebogenen und verzerrten Strukturen im Eis erahnen.
Heftige Turbulenzen reißen mich aus der Betrachtung. Ich muss mich schleunigst aus dem Gefahrenbereich bringen. Bei so geringem Abstand zum Gelände könnte das Einklappen des Schirmes fatal sein.
Aber der Südwind hat merklich aufgefrischt und es gelingt mir nicht mehr, bis zur Wolkenbasis aufzudrehen. Ich verabschiede mich von Litzner und Seehorn und fliege weiter. Nachdem ich über der Verhupfspitze 400 Höhenmeter dazu gewinnen konnte, jage ich mit Rückenwind über die Bielerhöhe hinweg zur Vallüla. Ein Paar Kreise mit guten Steigwerten sind mir auch dort vergönnt, sogar die Ballunspitze schickt mir Thermikgrüße. Triumphierend blicke ich nach Galtür hinab: Meine letzten beide Flüge habe ich bereits überboten.
Über dem Paznauntal liegt eine Wolkenstraße, zweispurig, wie eine Autobahn. Heute dürfte es egal zu sein, auf welcher Talseite ich nach Landeck fliege. Es sieht idiotensicher aus.
Trotzdem befolge ich Armins Rat und wechsle erst zur Fädnerspitze, bevor ich mich entscheide.
Der von ihm vorhergesagte Bart steht tatsächlich da, aber er hört abrupt auf, bevor ich eine brauchbare Höhe erreicht habe. Was nun?
Unter mir locken die weiten Wiesen von Galtür. Nein! Was für ein absurder Gedanke!
Ich sehe mich um. Kein anderer Pilot ist in der Luft. Seltsam. Es ist viertel vor eins und normalerweise müssten die Streckenjäger alle schon in der Silvretta sein. Der Wetterbericht hatte heute vor abendlichen Gewittern gewarnt, aber momentan lösen sich die Wolken eher auf, als dass sie sich zu Monstern auftürmen.
Ich wende mich zum Nebengipfel der Fädnerspitze und habe Glück: Kräftige Thermik katapultiert mich innert kürzester Zeit auf 3.800 m hinauf. Damit sind alle Optionen wieder offen und Galtür augenblicklich vergessen.
Soll ich nach Landeck fliegen? Angesichts der Wolkenstraße eine hundertprozentige Route. Aber so einfach will ich es mir nicht machen. Thomas Strecke kann ich ein anderes Mal nachfliegen. Bei schlechteren Bedingungen. Heute will ich Neuland erkunden!
Eine landschaftlich interessantere Route wäre die direkte Querung zum Arlberg: Über den Patteriol zum Scheibler, an den Faselfadseen vorbei nach St. Anton. Oder vielleicht gar Patteriol – Pflunspitzen – Kaltenberg – Klostertal?
Mein Größenwahn kennt keine Grenzen mehr. Die mahnende Stimme von Steffen, der mir am Startplatz aus eigener leidvollen Erfahrung berichtete, dass eine Landung in dieser straßenlosen Gegend einen elendslangen Fußmarsch bedeute, dringt nur leise in mein euphorisches Bewusstsein.
Was soll mir mit 3.800 Metern Ausgangshöhe schon passieren?
Da fällt mir ein, dass meine Mutter heute von Silbertal aus das Fellimännli besteigen will und ich ihr winken könnte, wenn ich von den Pflunspitzen über die Lobspitze nach Schruns fliegen würde. Mama beeindrucken ist offenbar auch noch für eine 48jährige ein starkes Argument, denn im Moment des Gedankens ändere ich meine Flugroute. Anstatt weiter auf den Patteriol zuzusteuern, fliege ich nun die hintersten Hügel des Valschavieltals an, in der Überzeugung, über dem Grat, der sich bis zum Valschavieler Maderer erstreckt, genügend Thermik zu finden.
Ein Irrtum.
Obwohl sich über mir etliche kleine Cumuli aufreihen, finde ich nirgends einen Aufwind. Nur Gegenwind. Viel zu schnell sinke ich zum Felsgrat hinab, bald werde ich mich entweder für die rechte oder für die linke Seite entscheiden müssen. Beide Optionen sind schlecht. Rechts drohen mir das Lee vom Maderer und eine Landung im hintersten Valschavieltal, links wird es mich ins Silbertal hinabspülen. Es sei denn, ich kann mich auf den sonnenbeschienenen Rücken retten, der das hintere Silbertal in zwei Arme teilt.
Zwei Minuten später fliege ich, von Sinkalarm begleitet ins Silbertal. Mein Höhenverlust ist enorm und ich komme auf der anderen Talseite nur knapp über der Waldgrenze an. Thermik ist zwar da, aber vom Talwind nach hinten verblasen, sodass ich die gewonnene Höhe beim Vorfliegen wieder verliere. Ein Nullsummenspiel, das sich endlos fortsetzen ließe. Ich quere zu den Talflanken unterhalb der Lobspitze. Mama könnte auf mich herabschauen. Hoffentlich sieht sie mich nicht. Sie würde sich sorgen. Ich wehre mich verzweifelt gegen das Absaufen und fliege in turbulenter Luft viel zu knapp über der Alpe hin und her. Der Wind ist einfach zu stark. Sollte er noch 5 km/h zulegen, dann würde ich nicht einmal mehr über das Seil der Materialseilbahn kommen, das mir ständig im Weg ist.
Es hat keinen Sinn mehr zu kämpfen. Ich muss mich damit abfinden, bei der inneren Gaflunaalpe zu landen.
Etwas in mir sträubt sich vehement gegen diese Vorstellung. War mir vor einer halben Stunde der Flug nach Landeck nicht zu einfach, zu idiotensicher? Und wollte dieser Idiot nicht Größeres vollbringen? Von wegen Patteriol und Pflunspitzen! Hinteres Silbertal wird das vorzeitige Flugende lauten und hier landen wirklich bloß Idioten!
Könnte ich wie ich wollte, würde ich mir selbst in den Hintern beißen. Aber da bauscht sich schützend der Airbag drüber.
Innere Gaflunaalpe! Abgelegener geht es kaum.
Wütend setze ich in der kuhfladenübersäten Wiese auf.
Ein Auto fährt taleinwärts. Hastig hänge ich mich aus und renne gestikulierend zur Straße. Drei Männer blicken mir mürrisch entgegen.
„Wisst ihr, ob heute noch jemand nach Silbertal hinaus fährt?“, frage ich verzweifelt.
„Nein. Wir jedenfalls nicht“, sagte der eine.
„Und was ist mit dem Auto, das bei der Materialseilbahn parkt?“
„Diesem Lenker begegnest du besser nicht. Er ist Jäger“, antwortet der zweite.
„Wieso bist du denn eigentlich hier gelandet?“, fragt der dritte misstrauisch, „Wenn du nicht einmal weißt, wie du von da wieder wegkommst?“
Ich gebe keine Antwort, sondern trotte geschlagen zum Schirm zurück. Die Rindviecher, die mittlerweile meine Ausrüstung begutachten, sabbern zwar das Tuch voll, aber sie stellen keine dummen Fragen.
Auf der Alpe erfahre ich, dass um fünf Uhr nachmittags der Wanderbus kommt. Meine Freude ist groß, bis ich einen Blick auf die Uhr werfe. Es ist halb zwei. Was macht man dreieinhalb Stunden im Gaflunatal?
Telefonieren.
Mama hat mich nicht natürlich gesehen, sagt, ich tue ihr Leid, weil sie mich mit ihrem Fahrrad, mit dem sie unterwegs ist, nicht abholen könne und es bereits donnere. Sie müsse sich beeilen heim zu kommen. Nachsatz: „Du wirst waschelnass werden.“
Ich blicke auf den schmalen Himmelsauschnitt zwischen den Bergkämmen. Erst jetzt fällt mir die düstere Stimmung auf. Ein mächtiger Wolkenturm hat sich übers Hochjoch geschoben. An seiner Unterseite bilden sich dunkle, regenschwangere Ausbuchtungen. Diese Wolken, die wie wassergefüllte Säcke oder Riesenbusen aussehen, tragen den passenden Namen: cumulus mammatus (lat.: brustartig).
Markus bestätigt, laut Niederschlagsradar schütte es in Schruns. Und er warnt mich, es sei viel zu weit um zu Fuß zu gehen. Er sehe das auf der Landkarte. Ich gebe ihm Recht, denn auf dem Wegweiser neben der Alpe steht „Silbertal – 2 Stunden“.
Steffen bietet an, mich, sollte ich es irgendwann einmal bis zur Ortschaft Silbertal geschafft haben, dort abzuholen und nach Vandans zu meinem Moped zu bringen. Aber ins Gaflunatal dürfe auch er ohne Berechtigungsschein nicht fahren.
Nach diesen vier Telefonaten schultere ich den schweren Rucksack und mache mich auf den Weg. Ich brauche das Gefühl etwas zu tun. Das hilft den Frust abzubauen.
Nach einer Stunde erreiche ich das Gasthaus Fellimännli. Es hat zu nieseln begonnen. Bevor ich etwas zu trinken bestelle, frage ich nach einer Mitfahrgelegenheit. Ein Holzarbeiter würde mich mitnehmen, aber – er deutet dabei auf seinen Äbi – sehr komfortabel würde das nicht sein. Sein Abschreckungsversuch wirkt nicht. Alles ist besser, als den Gleitschirm am Rücken eine weitere Stunde zu schleppen.
Im Schritttempo tuckern wir nach Silbertal. Dort helfe ich mit im strömenden Regen etliche Baumstämme abzuladen, bevor die Fahrt nach Vandans weitergeht, diesmal mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h. Ich muss zugeben, dass ein gewisser Reiz in dieser langsamen Fortbewegung liegt, eine Art trotziger Genügsamkeit. Mit ist völlig egal, dass wir eine Schleppe aus drängelnden Autos nachziehen, Hauptsache vor uns liegt eine hindernisfreie Straße.
Ab Vandans ist meine Sichtweise wieder völlig anders. Mit dem Moped gerate ich zwischen Vandans und Bludenz in einen Graupelschauer und habe es verdammt noch mal eilig, doch der verfluchte Traktor vor mir trägt dazu bei, Mamas Prophezeiung vom Durchnässtwerden wahr werden zu lassen.
Trotz allem Unbill bin ich froh, dem Gaflunatal entronnen zu sein. Denn um 17:00 Uhr stehe ich zuhause unter der heißen Dusche, anstatt bei der Alpe in den Wanderbus einzusteigen.
„Warum bis du eigentlich nicht nach Landeck geflogen?“, fragt Markus in die dampfenden Nebelschwaden des Badezimmers.
„Ach, das war mir zu primitiv“, sage ich lapidar. „Wollte was Neues ausprobieren.“
Stille am Gang vor dem Bad.
Leider kann ich Markus’ Gesicht nicht sehen. Fragt er sich, ob ich das ernst meine? Oder glaubt er sich verhört zu haben?
Ich lege noch ein Scherflein nach: „Bei der Wolkenstraße überm Paznauntal wäre jeder Trottel nach Landeck gekommen. Das reizte mich nicht.“
Diesmal währt die Pause nur kurz.
„Sag mal, hast du ’nen Sonnenstich?“
Ich einen Stich? Eine Hummel mit Sonnenstich? Ist das dann ein Hummelstich?
Was für ein Stichwort für meinen Flugbericht!
Ich muss ob dieser Wortspielerei derart lachen, dass ich mich gar nicht mehr einkriege und mir versehentlich Duschwasser in den geöffneten Mund spritze und mein Prusten in Husten und Röcheln übergeht.
„Dir hat die Hitze wirklich nicht gut getan“, resümiert Markus.
Da hat er Recht.
Dieser Sommer ist mir tatsächlich etwas zu Kopfe gestiegen.
Eckdaten zum Flug 3:
Flug am 17.7.2015 mit einem Ion 2 light
Dauer: 3 h 05 min
Geflogene Strecke (berechnet nach OLC als freie Strecke): 53 km
Start am Golm um 10:35 Uhr, Landung auf der Gaflunaalpe im hinteren Silbertal)
Größte Höhe: 3800 m