Verliebt in Umbria                 (Flugwoche '01)


Die feuchte Decke der Nacht

liegt noch kühl auf den Hügeln,

fließt zäh in dünnen Fäden

ins dämmrige Tal hinab,

sammelt sich dort in milchigen Seen.

 

Am Horizont gebiert das Meer

unter blutigen Wehen

eine neue Sonne - ohne Erinnerung an jenes Leid.

Die Farben der Welt explodieren

und jedes Ding atmet argloses Sein.

 

Selbst in erbleichten Felsen aus Kalk

pulsiert das eine Leben -

gleich den dampfenden Rinderleibern

im üppigen Gras,

deren steinernes Abbild sie sind.

 

Warme Luft schwappt nun vom Tal herauf,

bringt den gelben Duft

des betörenden Ginsters mit sich.

Es ist an der Zeit hinabzusteigen,

dem eigenen Schatten folgend.

 

Am Dorfplatz sind Blumen ausgelegt,

prachtvolle Ornamente sollen das Göttliche spiegeln.

Kirchenfassaden und fromme Gesichter

bilden ein entschlossenes Spalier

zum Schutz der heilen Glaubenswelt.

 

Die Prozession wird vom Murmeln der Gebete

durch die Gassen getragen.

Unter den schlurfenden Schritten

hauchen die Blüten ihre Duftseele aus

und ein heiliger Segen verströmt.

 

Die Straße reiht die Dörfer

zu einer Kette tonfarbener Steine

- gleich geschützten Nestern aus roten Ziegeln –

umgeben von wogenden Kornfeldern

in denen sich schwere Maschinen mühen.

 

Sie schlichten das Gold zu geschwungenen Maden

rollen mannshohe Räder daraus,

die verloren auf etwas zu warten scheinen.

Zerknitterte Mohnblumen bleiben zurück,

traurig – mit gesenkten Köpfen.

 

Hinter einem verlassenen Gehöft

plötzlich tausend gelbe Sonnen,

die Gesichter ihrem Schöpfer zugewandt.

Schlanke Zypressen, wie von Künstlerhand platziert

bewachen das Gemälde der Natur.

 

Im Ristorante zieht der Fernseher den Blick nach oben

nur der Gastgarten erlaubt Geselligkeit.

In verwahrlosten Tontöpfen blühen Geranien

mit einer Inbrunst,

die keiner Pflege bedarf.

 

Über dampfende Nudeln

wird schwarzer Trüffel gerieben.

Der dunkle Wein klingt schwer in den Gläsern

und hinterläßt einen erdigen Geschmack

Umbria verführt mit ihrem fruchtbaren Leib.

 

Bei jedem Schritt Richtung Gipfel

atmet der Boden den Duft herber Kräuter aus.

Der Wind reißt kleine Insekten mit sich

und jagt damit verspielt durchs Blätterwerk.

Unter uns kocht die Luft im Tal.

 

Schnell die Flügel ausbreiten, zwei beherzte Schritte

und sich tragen lassen

Aus neuer Perspektive den Rhythmus der Landschaft erkennend:

Wellenartig schwingend,

von Bergketten über flache Hügelrücken ins glitzernde Meer.

 

Bunte Felder mit steinernen Warzen gespickt:

Dörfer, wie Festungen auf die Kuppen geklebt.

Die Spiralform der Stadtmauer

in eigenen Kreisen fortsetzend,

bis die Piazza 1000 Meter unter mir liegt.

 

Mit allen Sinnen das unsichtbare Element erfahren -

teils Spiel, teils zähes Ringen.

Schließlich die feuchten Tentakel der Wolke spürend

und frech eintauchen

ins weiße Nichts.

 

Ausschweben im Abendlicht,

das die Farben der Äcker erwärmt.

Hinabsinken in die schwüle würzige Luft

und mit strahlenden Augen von Eindrücken berichten,

die eigentlich nicht beschreibbar sind.