Kekse

Kekse im April. Kein Scherz.

Trotz fortschreitender Versteinerung leuchten die Farben der Glasuren wie zu Weihnachten und schimmern durch das Glas der Schatulle. Es sind Relikte eines Konfliktes; ausgemustertes Kriegsgerät, könnte man überspitzt formulieren. Aufgebahrt in einem durchsichtigen Sarg aus Bleikristall.

Meine Frau hat beschlossen, die Kekse nicht zu Grabe zu tragen, obwohl ich die Weihnachtsbäckerei gefühlsmäßig nicht mehr sehen kann. Augenscheinlich jedoch thronen sie weiterhin über dem Fernseher.

Ich solle sie als Friedenssymbole akzeptieren, rät meine Frau. Die permanente Wiederholung unserer winterlichen Ehekrise sei heuer erstmalig durchbrochen worden, wir würden uns nie mehr so auf den Keks gehen wie in den letzten Jahren.

 

Ich kann mich nicht mehr erinnern wie alles begonnen hatte. Es musste ein schleichender Prozess gewesen sein, der sich schließlich zu diesem Monstrum aufblähte. Vielleicht stand am Anfang ein Lob über ein essbares Kokospusserl, das sich sein Unschuldsweiß in der Höllenhitze des Backrohrs bewahren konnte. (Meine Frau machte nämlich erst durch unseren Wohnungskauf Bekanntschaft mit den Einrichtungsgegenständen einer Küche).  Im folgenden Jahr äußerte ich mich womöglich anerkennend über die Konsistenz der Rumkugeln, die die frühere Härte von Gewehrmunition verloren hatten. Meine aufmunternden Worte steigerten jedenfalls die Koch- und Backkunst meiner Frau. So weit so gut.

Es blieb jedoch ein Missverständnis zwischen uns bestehen: Ich bewunderte ihre Geschicklichkeit und ihren Lernfortschritt. Sie hingegen glaubte, ich sei an den Resultaten interessiert und verbuchte jedes Lob als eine Art Bestellung. In der Folge wuchs ihr Repertoire von Jahr zu Jahr und gipfelte in einer regelrechten Leistungsshow zu Weihnachten.

Die Wochen davor wurden zur Belastungsprobe unserer Beziehung. Alles drehte sich um Kekse, der Küchenbereich dehnte sich auf die ganze Wohnung aus, überall lagen Bleche und gefährliche Utensilien herum. Einmal stanzte ich einen Tannenbaum aus meiner Ferse, weil ich barfuß in eine Ausstechform getreten war. Ich bezichtigte meine Frau der Fallenstellerei, denn es gab in meinen Augen keinen anderen Grund als diesen, um eine Keksform im Badezimmer zu platzieren. Anstelle von Mitgefühl und notärztlicher Versorgung bekam ich allerdings den Vorwurf zu hören, ich würde ihre Arbeit, die sie nur mir zu Liebe tat, sabotieren. Indem ich ihr Werkzeug mit Füßen treten würde, verletze ich in Wahrheit sie. Kein vernünftiger Mann hätte es zu diesem Zeitpunkt übers Herz gebracht zu sagen, dass er Kekse verabscheue. Also setzte ich auf den Zeitfaktor und hoffte, dass sich der Backwahn meiner Frau allmählich legen würde.

Ich unterschätzte ihre Ausdauer. So kam es zur jährlichen Wiederholung der Krise und ich gewöhnte mich daran. Sorge bereitete mir allerdings der Umstand, dass sich die Keksproduktion immer weiter von Weihnachten entfernte. Das lag im Trend. Selbst in den Geschäften tauchten Spekulatius und Co im November auf. Oder gar Oktober? Im letzten Herbst war es jedenfalls entschieden zu früh.

 

Lange bevor sich die Adventskränze vor den Auslagen der Gärtnereien ringelten, verschwanden meine Bierflaschen aus dem Kühlschrank. Im Keller, drei Stockwerke tiefer, entdeckte ich sie wieder. In einem Regal, das normalerweise mit Stapeln von bunten Blechdosen belegt ist. Mein Spürsinn erfüllte mich mit Stolz. Die Anhäufung leerer Dosen mit Goldsternchendekor und Winterlandschaften im Schlafzimmer hatte mir den entscheidenden Hinweis gegeben. Nicht meine Frau. Nein. Die hatte nur boshaft gegrinst, als sie meine Enttäuschung beim Anblick des Kühlschrankinhaltes sah. Meine Augen waren über Butterklötze, Eierkartons, Mandelsplitter, Walnusshälften bis zur grauenhaften Kochschokolade gewandert, die nicht mal zum Naschen taugt. Dann schloss ich die Türe wieder. Suchst du was, hatte meine Frau gefragt und in ihren Pupillen tanzte der Teufel. Da wusste ich, dass der Advent nahte. Und mit ihm die stillste Zeit des Jahres. Das gesprochene Wort wurde bedeutungslos, unsere Konversation erstarb. Es zählten bloß mehr kryptische Kürzel auf zerknitterten Zetteln: 1 Pckch Vz, 2 Tlf Bp, 1 Msp Zimt, 30 dag gl. Mehl Typ 700, 1 Pr Sz. Für mich eine unverständliche Geheimschrift. Meine Frau hingegen las diese Rezept-Stenografie mit einer Inbrunst, als würde sie dem Papst das Glaubensbekenntnis vorbeten. Laut rezitierte sie in der Küche, dass sie Eier zuerst trennen und das Weiß schnittfest steifschlagen werde, bevor sie die Dotter schäumen wolle. Ich staunte über den Wortschatz der mir fremden Sprache. Da gab es Tätigkeiten wie beimengen, unterheben und ausbuttern; Abtriebe wurden gemacht und Gleichschwermassen erstellt. Teige mussten entweder gehen oder beliebten zu rasten. Der von mir vermutete Zusammenhang zwischen dem anstrengenden Gehen – ein Teig kann sich schließlich nur zäh fortbewegen - und anschließender Ruhephase erwies sich jedoch als falsch. Gehen oder rasten, beharrte meine Frau.

 

Offenbar gelang es mir nicht, mich auf ihrem Niveau zu unterhalten. Unsere Gespräche reduzierten sich auf das Mindestmaß an Höflichkeit: Morgen, Tschüss, Hallo und Gute Nacht. Einmal wagte ich abends zu fragen, was es denn zu essen gäbe. Der vernichtende Blick meiner Frau antwortete mir, dass ich besser geschwiegen hätte. Dann legte sie los und zählte alle Sorten von Keksen auf, die sie an diesem Tag zubereitet, gebacken oder glasiert hatte. Sie rechnete mir die Stunden vor, die sie in der Küche und am heißen Herd verbracht hatte und machte mich indirekt für ihre Rückenschmerzen verantwortlich, weil ich ihr nicht geholfen hatte, als sie über die Bleche gebeugt der Linzer Bäckerei die Augen ausgestochen habe. Und jetzt solle sie wohl noch für mich das Bier aus dem Keller holen. Dass ich bloß um ein Abendessen gebeten hatte, ignorierte sie. Ich rief den Pizzadienst an und löste den Gutschein ein, der mir nach der fünfundzwanzigsten Bestellung zustand.

 

Allmählich füllten sich die Keksdosen, doch meine Frau produzierte ungehemmt weiter. Sie blätterte in ihrer Zettelsammlung und behauptete, dass ich diese oder jene Sorte stets gerne gegessen hätte. Diesen Satz wiederholte sie dann einige Male und formulierte schließlich einen Backbefehl daraus. Ich brachte es wieder nicht übers Herz ihr zu sagen, dass ich Kekse nicht mochte. Dass mir diese mit Fett zusammengeklebten Brösel zuwider waren. Egal welche Farbe ihre Glasur trug, unabhängig vom Nussanteil oder einer Marzipanfüllung. Kekse blieben Kekse. Ob herzig, gepusserlt, kugelrund oder als Kipferl. Mich machten weder bleiche Mondgesichter noch rotgelierte Linzeraugen an.

 

In einer Krisenzeit sollte man Humor bewahren, riet mir ein Freund. Und wenn mir angesichts der Kalorienbomben mit dem auf Heilig-Abend eingestellten Zeitzünder das Lachen verginge, so könnte ich wenigstens Interesse für das Tun meiner Frau zeigen. Für ihre Kreativität zum Beispiel.

 

Ich nahm mir den Rat zu Herzen und öffnete eine Keksdose nach der anderen. Und staunte. Vor allem überraschte mich die Geschwindigkeit, mit der meine Frau nach meiner Hand schlug während sie kreischte: „Erst zu Weihnachten! Finger weg!“ Da erkannte ich plötzlich den Zusammenhang zwischen Rat und Schlag.

Blieb nur der Humor.

„Schatz“, sagte ich daher etwas später zu meiner Frau, die mit dem Spritzbeutel voll weißer Kuvertüre konzentriert die Konturen eines Mondes nachzeichnete, „warum bäckst du für Weihnachten eigentlich keine christlichen Kekse?“

Sie patzte Schokolade auf das Blech und zog die Augenbrauen fragend in die Höhe. Bevor sie sich äußern konnte, setzte ich nach und wollte von ihr wissen, wie viele Sorten sie bis jetzt gemacht habe.

Sechsundzwanzig seien es, aber dreißig würden es mindestens werden.

„Dreißig Sorten“, sinnierte ich, „und nur heidnische Formen.“

Der Spritzbeutel platzte und die Masse quoll aus dem Stoff. Meine Frau fluchte gotteslästerlich und versuchte das Loch mit der Hand abzudichten.

„Dir mangelt es an religiösem Hintergrund“, stichelte ich weiter und rutschte auf der Bank so weit nach rechts, dass ich genau vor ihrem Lieblingsbild an der Wand zu sitzen kam. Zur Vorbeugung, falls sie mit der Schokoglasur nach mir werfen würde.

Aber meine Frau wurde nicht wütend. Ihr Gesichtsausdruck war vielmehr von tiefer Sorge geprägt, als sie sich nach meinem Geisteszustand erkundigte. Der schlaffe Spritzbeutel lag wie ausgeblutet über der Mondlandschaft aus Keksen.

Auf die Symbolik käme es an, erklärte ich und deutete auf ein Backblech mit gelb glasierten Sternen. Damit würde man das Judentum in Verbindung bringen. Ich öffnete eine Dose und wies auf runde Plätzchen in Form der Sonnenscheibe, des Gottes Ra, hin. Dann holte ich aus einer anderen Büchse einen Nussstängel, dessen Ende dick mit Schokolade überzogen war. Dreckig grinsend hielt ich meiner verdutzten Frau diesen Phallus vors Gesicht. Den Rumkugeln dichtete ich eine Eierform an, aus den Kokospusserln machte ich keltische Hügelgräber. Aber mein größter Triumph stand noch bevor.

„Wie erklärst du dir die vielen Mond- und Sichelformen?“, fragte ich meine Frau als wäre sie die Angeklagte in einem Verhör. „Haben wir in Österreich nicht schon genug Debatten über Muslime geführt? Halbmonde auf den Bergspitzen anstelle von Gipfelkreuzen?“

Ich legte eine effektvolle Pause ein und fuhr dann fort: „Und wie reagierst du auf die drohende Islamisierung? Bäckst du Kreuze?“

Bevor sie sich von meinem Überraschungsangriff erholen konnte, fischte ich sämtliche Monde und sichelartig gebogenen Kekse aus den Dosen und legte die Beweisstücke vorwurfsvoll vor sie hin.

„Sieht so die Verteidigung des christlichen Abendlandes aus?“

Ein Vanillekipferl könne man nicht anders formen, argumentierte meine Frau, dann wäre es kein Kipferl mehr. Und von Vanillekreuzerl habe sie noch nie etwas gehört.

Ihre Stimme war leise geworden. Ich konnte der Versuchung sie in die Arme zu nehmen kaum widerstehen, musste jedoch meine Rolle fertig spielen.

 

Nach einer langen Nachdenkpause sprach sie mit deutlich hörbarer Resignation endlich den einen Satz, der unsere Ehe rettete:

„Du musst ja keine Kekse essen, wenn es deinem Glauben widerspricht.“