No Problem

...ist die Standard-Beschwichtigungsformel, die jede/n Reisende/n sorglos stimmen sollte. Nur Humor kann diese vermeintliche „Schutz“-Barriere zwischen Einheimischen und Touristen einreißen.


Ein Bericht aus Tibet.

 




Auf den letzten Metern stirbt der Motor ab und der Jeep rollt auf unser Zelt zu. Wütend versucht der Fahrer dem Anlasser mehr als nur ein Kreischen zu entlocken. Vergeblich. Der Wagen steht still. Diese Gehorsamsverweigerung treibt dem Mann hinterm Steuer die Zornesröte ins Gesicht. Mit drohend wirkender Geste streift er seine weißen Handschuhe ab und greift erneut zum Zündschlüssel. Rasch steigt der Beifahrer aus. Er lächelt verlegen und sagt im Tonfall einer Rechtfertigung: „Driver - old man.“ Uns beunruhigt eher das Alter des Autos. Dann reicht er uns die Hand und stellt sich selbst als unser guide namens Phurbu vor.

Markus und ich blicken ungläubig in das Kindergesicht. Der Junge im AC/DC-Shirt ist keine 18 Jahre alt. Unsere Trekkingagentur hatte uns einen erfahrenen Einheimischen versprochen, der Westtibet wie seine Hosentasche kenne.

Phurbu schlingt seine Arme um sich, beginnt laut mit den Zähnen zu klappern und blickt verunsichert über die Wasserfläche des Manasarowar-Sees zu den vergletscherten Bergen hin. Dunkle Wolken wälzen sich über das Land, Schneeschauer zuckern die Ufer weiß und Sturmböen schäumen Wellen auf. Das Outfit unseres ‚erfahrenen Führers’ ist für die windgepeitschten Hochebene auf viereinhalbtausend Metern Höhe etwas zu ,cool’. Zehn Minuten später sind die Hardrocker unter Markus’ geliehenem Anorak verschwunden.

 

Plötzlich heult der Motor auf und der Fahrer gibt ein paar Mal kräftig Gas. Er kostet den Augenblick des Triumphs aus, bevor er den Zündschlüssel wieder umdreht und den Lärm abstellt. Dann steigt er aus und blickt angestrengt unter den Wagen.

 

Markus wendet sich an den Jungen und will wissen, wo das zweite Fahrzeug bleibt, das uns für die Fahrt nach Lhasa versprochen worden war. „No problem!“, sagt Phurbu schnell und als wäre die Frage damit beantwortet beugt er sich zum Fahrer hinab, der unterm Jeep verschwunden ist. Phurbu zwängt sich im fremden Anorak zwischen Lehmboden und Auspuff dazu. Markus’ Protest wird mit einem weiteren „No problem“ abgetan. Das sieht Markus anders, kniet neben das Auto und spricht in den staubigen Schatten hinein, dass er seinen Anorak unversehrt zurück haben wolle. „Aua!“ Es folgen Flüche in tibetisch, dann schiebt sich ein dreckiger Anorak unterm Wagen hervor. „Sorry“, sagt Phurbu, beutelt das Kleidungsstück ein paar Mal kräftig durch und wundert sich, dass man Ölflecken nicht abschütteln kann. Mit einer hilflosen Geste und einem Hauch von schlechtem Gewissen wandelt Phurbu daraufhin ein „No problem?“ zur Frage um.


Eine Staubfahne nähert sich, ausgelöst von einem LKW. Die Nepalesen, die uns auf dem Fußmarsch durch den Himalaya bis nach Tibet begleitet hatten, brechen eilig die Zelte ab. Im Nu ist das Gepäck verschnürt und zwischen den Treibstofffässern festgezurrt. Im letzten Moment kann ich unsere Schlafsäcke aus der stinkenden Umgebung bergen und in den Jeep in Sicherheit bringen. Doch die Hülle der Packsäcke ist bereits von einem öligen, in allen Regenbogenfarben schillernden Film überzogen.

 

Der Lastwagenfahrer klappt die Motorhaube auf und klopft mit einem langen Schraubenschlüssel auf den verschiedenen Metallteilen herum, als hätte er ein Xylophon vor sich. „No problem“, meint er grinsend, als ich mich neben ihn stelle. Sein Beifahrer versucht zu starten. Teile des Motors zucken nervös und werden mit gezielten Schlägen des Fahrers zur Räson gebracht, bis sich die Zylinder endlich auf einen Takt einigen, der Motor rund läuft  und der LKW davon rumpelt.

 

„Warum fahren wir nicht gemeinsam?“, frage ich Phurbu. Mir schiene es vernünftiger, wenn die Fahrzeuge beieinander blieben. „No problem“, antwortet Phurbu beschwichtigend, „Wir werden den langsamen LKW bald einholen. Übrigens – habt ihr eine Kassette bei euch?“ „Eine was?“ Phurbu wühlt im Handschuhfach und zeigt mir ein Musiktonband. Ich schüttle verwirrt den Kopf. „No problem“, sagt Phurbu, studiert kurz die Aufschrift und zieht dann mit einem Seufzer das Magnetband meterweise aus den Spulen. Er reicht das braune Gekröse dem Fahrer, der sich an der Hinterachse des Jeeps zu schaffen macht. Das Differentialgetriebe leckt. Die beiden Tibeter legen ihm nun mit endloser Geduld einen Verband aus dem schmalen Plastikstreifen an.

 

Zwei Stunden später fahren wir los. Ein scharfer Geruch hat sich im Jeep breit gemacht. Phurbu schnuppert irritiert in der Luft und spricht den Fahrer mit besorgter Miene an. „No problem“, mische ich mich ein, „das sind bloß unsere Schlafsäcke, die nach Diesel stinken!“

Da wir alle zehn Kilometer anhalten und der Fahrer einen Blick unters Auto werfen muss, äußert Markus Zweifel, ob wir in diesem Tempo den LKW jemals einholen werden. Phurbu versucht unsere Bedenken zu zerstreuen und hängt an sein ‚no problem’ die zuversichtliche Bemerkung an, dass der LKW ebenfalls eine Panne haben könne, die ihm Zeit kosten und den Vorsprung verkürzen würde.

 

Vor uns taucht ein Militärposten der Chinesen auf und Phurbu dirigiert den Fahrer in den von hohen Betonmauern umschlossenen Innenhof. Erleichtert beobachten wir, dass Phurbu die Soldaten um etwas fragt. Offenbar sucht er technische Hilfe. Mit dem Tonbandprovisorium könnten wir unmöglich die 1500 Kilometer lange Strecke bis nach Lhasa bewältigen!

Kurz darauf geht Phurbu mit einer leeren Konservendose zu einem Stapel Säcke zu und füllt graues Pulver in seine Büchse. Dann bückt er sich neben einer Wasserlacke und schöpft mit der hohlen Hand Flüssigkeit in die Dose. Unser Fahrer entdeckt ein kleines Holzstück auf einer Müllkippe und rührt damit das Gemisch um. Wir stellen keine Fragen. ‚No problem’ kennen wir zur Genüge. Ich halte meine Nase über die Dose und mein Verdacht bestätigt sich. Der Geruch von nassem Zement ist unverkennbar: Beton.

Und schon verschwinden die Tibeter unter dem Wagen und schmieren den Brei über den Tonbandverband. „Die betonieren tatsächlich die Hinterachse zu!“ Markus kann es kaum fassen und wir wissen nicht ob wir lachen oder weinen sollen. Aber als Phurbu uns mit ernster Miene erklärt, wir müssten nun eine halbe Stunde warten, bis der Beton getrocknet sei, prusten wir los.

 

Nach einer letzten Inspektion des Aushärtungsprozesses verlassen wir das Militärlager und rumpeln auf der unbefestigten Fahrbahn in Richtung Osten. Die Allradstrecke wechselt zwischen Wellblechpiste und Bachbett. Von der Beton-Ummantelung ist nach wenigen Kilometern nichts mehr übrig.

Wieder liegt der Fahrer unterm Auto und wir beobachten, wie sich die tibetische Steppe in der Abendsonne verfärbt. Am Hauptkamm des Himalayas ballen sich Gewittertürme. Blitze lassen sie wie Lampione aufleuchten.

Unser Fahrer kommt missmutig unterm Jeep hervor und opfert seine weißen Strickhandschuhe. Mit einem Messer trennt er einen Daumen ab, legt ein Stück Seife darauf und beginnt mit einem Stein die Strickware zu bearbeiten. Durch stetes Klopfen, Schlagen und Reiben stellt er nach einiger Zeit eine Paste her, die als Dichtungsmasse über das lecke Differentialgetriebe gestrichen wird. Mit dieser Methode erzielen wir die bislang größte Reichweite: 80 Kilometer pro Finger!


Mittlerweile ist es dunkel und das breite Band der Milchstraße in der trockenen Höhenluft zum Greifen nah. Wir halten neben einem moosumsäumten Bächlein an, die Ufer sind bereits vom gefrorenen Wasser weiß. Die Tibeter haben kein Auge für die Schönheit der schier endlosen Hochebene, die im Süden vom Himalaya begrenzt wird. Sie starren bloß nach Westen in das verlöschende violette Licht, starren in die Richtung aus der wir kamen. Und aus der der LKW schon lange hätte kommen sollen.

„Aber müsste er nicht vor uns sein?“, geben wir zu bedenken, „Wir haben ihn ja nie überholt!“

Phurbu erklärt gereizt, dass wir wegen des Militärcamps eine andere Route genommen hätten und - rein theoretisch - schneller gefahren sein müssten. Nach einer weiteren Stunde sind Guide und Fahrer völlig ratlos, wirken erschöpft, finden ‚no problem’ nicht mehr lustig. Irgendwie verständlich, denn nur Markus und ich haben warme Daunenschlafsäcke dabei. Proviant und das restliche Gepäck sind auf dem LKW.

 

Endlich vernehmen wir Motorengeräusch. Im Dunkeln blitzt ab und zu ein einzelnes Licht auf. „Da kommen sie!“, ruft Phurbu überzeugt. Wir fragen skeptisch, wie er vom sporadischen Lichtsignal auf unseren LKW schließen könne. „Das müssen Tibeter sein“, antwortet unser guide bestimmt, „Tibeter sparen Strom.“

 

Als der LKW endlich bei uns eintrifft, wird der Fahrer gleich von Phurbu mit Fragen bestürmt. Neugierig gesellen wir uns dazu. Und bevor man uns mit Beschwichtigungen abspeisen kann, stellt Markus die Schlüsselfrage, die uns ab nun wie ein Sesam-öffne-dich Zutritt in den Kreis der Informierten verschaffen wird. Er fragt schlicht: „What kind of no problem?

 


Tiefenprüfung vor der Bachquerung

oder gleich mit mit Vollgas durch